Offener Brief an den stellvertretenden Bezirksbürgermeister und Bezirksstadtrat Ephraim Gothe

Nachbarschaftsinitiative IG HAB, Habersaathstr. 48, 10115 Berlin

An den
stellvertretenden Bezirksbürgermeister und Bezirksstadtrat Ephraim Gothe
Müllerstr. 146
13353 Berlin


Betrifft: Milieuschutz in Berlin Mitte, Rückstufung der Habersaathstraße auf einfache Wohnlage


Berlin, den 13. Juli 2018


Sehr geehrter Herr Gothe,


Wohnen ist ein Grundrecht. Es gibt kein Grundrecht auf hohe Renditen. Wir sind glücklich über einen rot-rot-grünen Senat, der sich dem Grundrecht auf Wohnen in unserer Stadt verschrieben hat. Und deshalb schreiben wir Ihnen.

In der Habersaathstraße wohnten, bis sich die Gegend als Filetstück für Mietspekulanten und dubiose Investoren entpuppte, Familien, Arbeiter-innen, Angestellte, Mitarbeiter-innen der Charité sowie Menschen, die man gern als „sozial schwach“ bezeichnet.
Heute ist ein großer Teil der in unserer und den anliegenden Straßen verwurzelten Menschen bereits von der in Mitte grassierenden Gentrifizierung vertrieben. Sie sind Opfer von Modernisierungen und ständig steigenden Mieten geworden.

Die in der Habersaathstraße immer noch seit vielen Jahren ansässigen Mieterinnen und Mieter wurden und werden seit Jahren bedroht durch zwielichtige Entmietungsvorhaben, Umwandlungen in Privatwohnungen, anberaumte Luxussanierungen und ständig höher geschraubte Mieten.

Durch die zusätzlich 2017 erfolgte Einstufung der Habersaathstraße als „mittlere Wohnlage“ statt wie bisher „einfache Wohnlage“ und die damit möglich gemachten, enormen Mietsteigerungen werden weitere Menschen zur Kapitulation gezwungen und aus dem Viertel vertrieben.


Auf welchen Kriterien basiert die Einstufung unseres Viertels als „mittlere Wohnlage“? Zählen hierfür nur Mietsteigerungen und das Voranschreiten der sozialen Entmischung?

Wir stellen folgende Punkte fest, die unserer Meinung nach zur Hochstufung unseres Viertels in „mittlere Wohnlage“ in eklatantem Widerspruch stehen:

Die Wohnqualität in der Habersaathstraße wird auch in den nächsten 10 Jahren durch die Baumaßnahmen in der Chausseestraße und die damit einhergehenden Verkehrsumleitungen durch unsere Straße massiv beeinträchtigt.


Benachteiligung durch Verkehrsanschluss:
Die Bus- und Tramhaltestellen sind für unser Viertel im Verlauf der stadtplanerischen Interventionen, Sanierungen und des BND-Neubaus weggefallen, den Wendepunkt der Tram in der Schwarzkopfstraße und den Buswendepunkt in der Scharnhorststraße gibt es nicht mehr.

Die Grünflächen und Parkanlagen in unserem Viertel sind in desolatem Zustand: Die im Pankepark jetzt offen fließende Panke ist voller Algen und stinkt im Sommer. Die Bauarbeiten Bauabschnitt 2 und 3 beginnen zur Zeit.
Der Invalidenpark ist marode, die Bewässerung dieser geschützten Grünfläche defekt. Die Freizeiteinrichtungen sind weitgehend zerstört.
Die Platanen in der Habersaathstraße werden seit Jahren nicht mehr beschnitten. Herabstürzende, armdicke Äste gefährden Passanten und verursachen regelmäßig Sachschäden an parkenden Autos.

Es gibt außer dem Spielplatz neben der Habersaathstraße 2 bis 6, welcher stark renovierungsbedürftig ist, keine öffentlichen Spielplätze mehr. Der Spielplatz am Kessel hinter dem ehemaligen Schwesternwohnheim musste schon vor Jahren einer Lückenbebauung weichen. Der Spielplatz Scharnhorststraße Ecke Am Pankeweg wurde im Rahmen der Neubebauung zu einer gepflasterten Gehfläche. Zwei Ersatzspielplätze sind erst für 2022 bis 2025 in der Planung, bis dahin sind die Kinder, die jetzt einen Spielplatz brauchen, schon aus der Schule.

Funktionale Mischung:
Durch den hohen Anteil öffentlicher Gebäude (BND, BMVI, BMWI, 3 Kitas) ist die funktionale Mischung stark zu Ungunsten des Wohnanteils verschoben. Auch die vom BND erwarteten 5000 Mitarbeiter-innen und 10000 Student-innen werden sich nachteilig auf die Wohnqualität der Anwohner-innen auswirken.

Zweckentfremdung:
Was wird aus dem totsanierten Haus in der Habersaathsraße 19, das nach zehnjähriger Bauzeit als Investitionsruine leer steht und dessen ursprüngliche Mieter-innen in dramatischer Weise vom Eigentümer vertrieben wurden?

Was ist mit Habersaathstraße 24-26, einem möblierten Appartementhaus der Charité im Besitz einer Tochterfirma vom Land Berlin?

Wie steht es um die Zweckentfremdung in den ursprünglich für Mitarbeiter-innen der Charité errichteten Häusern Habersaathstraße 1, 2, 4 und 6?

Die Liegenschaft in der Habersaathstraße 40-48 wird durch illegale Hotelwohnungen zweckentfremdet.

Wir fordern Sie auf, die soziale Mischung in unserem Viertel zu erhalten und der Zweckentfremdung von Wohnraum endlich Einhalt zu gebieten.

Wie steht es um den Erhalt der sozialen Mischung, auf den Ihre Koalition großen Wert legt? Durch die Neubebauung, Privatisierungen und den ausschließlichen Zuzug extrem einkommensstarker Haushalte wird bei uns die soziale Mischung ausgelöscht!

Setzen Sie ein Zeichen und stufen Sie unser Viertel zurück auf „einfache Wohnlage“! Kaufen Sie die Habersaathstraße 40 bis 48 zurück als Wohnraum für Familien, Krankenschwestern, Arbeiter-innen und Angestellte! Machen sie ernst mit Ihren Wahlversprechen, um in der Habersaathstraße ein Exempel dafür zu statuieren, dass es möglich bleibt, in Mitte zu wohnen!


Dieser Brief erging in gleicher Post an

WKA Herrn Stephan von Dassel, Mathilde-Jacob-Platz 1, 10551 Berlin
FWKA rau Dr. Eva Högl, Platz der Republik 1, 11011 Berlin
Frau Katrin Lompscher, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, Württembergische Str. 6, 10707 Berlin



Mit freundlichen Grüßen

IG HAB
+ Liste der Unterzeichner-innen dieses Briefes


Kommentare